Die Stunde der Wahrheit für's Employer Branding
Es ist 21 Uhr, kurz vor der dänischen Grenze. Mit meiner Berater-Kollegin vom KI.M sitze ich im Hotelfoyer. Am nächsten Morgen werden wir mit elf Mitarbeitern eines Industriekunden den Arbeitgebereigenschaften auf den Grund gehen. Unser Workshop-Thema: „Employer Branding“. Doch vorher stellen wir uns mal auf den Kopf.
Worin sind wir eigentlich gut?
Interessanterweise fällt es uns immer leichter, über unsere Defizite zu sprechen. So hängt auch das Klagen über den Fachkräftemangel wie eine pechschwarze Wolke über den Verantwortlichen aus HR und Personalmarketing. Das Wissen um „was nicht mehr gut läuft“ begleitet sie täglich, ausdauernd und geräuschvoll.
Hilft nur noch der optimistische Gedanke, dass wir uns unsere Defizite zunutze machen können. Mit der sogenannten Kopfstandmethode versetzen wir in Workshops die Teilnehmer ins Denken und Sprechen, zum Beispiel mit der Frage: „Was müsste ich tun, um die Situation weiter zu verschlechtern?“
Zwischen Bücherregal und Kaltgetränk machen wir einen innerlichen Kopfstand. Einmal angenommen: ich bin Führungskraft in einem mittelständischen Betrieb, uns fehlen vorne und hinten gute Fach- und Führungskräfte oder wir sorgen uns zumindest, dass es bald so kommt. Nun die provokante Frage: Was könnten wir tun, damit wir zum schlechtesten Arbeitgeber werden?
Wir müssten dann natürlich komplett anders sein als SAP, Infineon, Bosch & Co., die es laut Ranking nämlich richtig gut machen.
Der Plan ist einfach: Themen wie New Work, Life-Balance, BGM, Chancengleichheit, Homeoffice oder Arbeit 4.0 sind fortan tabu. Budgets für Mitarbeiterevents werden restlos gestrichen, Recruiting-Prozesse dem Zufall überlassen und all das „Gedöns“ für das „Feel Good“ unserer Mannschaft gehört zur Vergangenheit. Schauen wir doch mal, wer dann noch kommt oder bleibt. Treiben wir es doch einmal auf die Spitze und sammeln auf dem gedanklichen Betriebsrundgang all das ein, was nicht unmittelbar zur Wertschöpfung beiträgt. Kaffeemaschinen, Pausentische, Pflanzen und Bilder, alles muss raus.
Wertvolle Richtungsänderung
Diese fiese Liste bringt eine tolle Sammlung hervor, wenn wir den Kopfstand beenden und uns wieder auf die Beine stellen. Liste umdrehen und fertig ist eine erste Analyse von Angeboten und Möglichkeiten, die es in unserem Betrieb gibt.
Die Frage nach dem, worin wir gut sind, ist oft schwer zu beantworten. Suchen doch alle nach dem Besonderen. Was ist toll an unserem Unternehmen, unserer Kultur, unserem Fachwissen und unseren Mitarbeitern? Was davon kann ich fördern und kommunizieren? Basierend auf diesen Antworten ist ein glaubwürdiges Leistungsversprechen (Employer Value Proposition) möglich, das die richtigen Kandidaten für mein Unternehmen anspricht und (für sich) gewinnt.
Wir verlassen die gemütliche Sitzecke an diesem Abend voller Spannung auf den anstehenden Workshop und Vorfreude auf rege Teilnahme und Mitturner.
Von Christiane von Bonin